Kooperative Jungenaufzucht bei Vögeln (Kenia, 1975-1985).
Charles Darwin hatte Mühe, die Evolution von Kooperation und scheinbarer Selbstlosigkeit (z.B. bei sozialen Insekten) zu erklä-
ren. Solches Verhalten zugunsten von anderen schien seiner Theorie zu widersprechen, dass die Selektion Organismen hervor-
bringt, die ihre eigene Fitness maximieren. Heute kennen wir verschiedene Wege zur Evolution kooperativen Verhaltens: direk-
ter Fitnessgewinn durch Zusammenarbeit (Mutualismus) oder reziproken Altruismus sowie indirekter Fitnessgewinn durch die
Hilfe bei genetisch verwandten Individuen (Verwandten-Selektion).
Bei afrikanischen Graufischern (Ceryle rudis) fand ich beide Möglichkeiten des Fitnessgewinns innerhalb derselben Art.
Männchen, die infolge eines stark verschobenen Geschlechter-Verhältnisses unverpaart bleiben, helfen anderen Brutpaaren
bei der Aufzucht ihrer Jungen. Primäre Helfer erhöhen ihre indirekte Fitness, da sie durch ihre Hilfe das Überleben von jünge-
ren Geschwistern verbessern; sekundäre Helfer erhöhen ihre direkte Fitness, indem sie durch die Hilfe ihre eigenen künftigen
Fortpflanzungs-Chancen erhöhen. Brutpaare tolerieren primäre Helfer - die ihre Jungen aus Vorjahren sind - unter allen Umwelt-
bedingungen. Die nicht verwandten sekundären Helfer hingegen, die mit den Brutmännchen um die wenigen Weibchen konkur-
rieren, werden nur unter schlechten Nahrungsbedingungen geduldet, d.h. wenn zusätzliche Hilfe für eine erfolgreiche Jungen-
aufzucht nötig ist. Unter guten Nahrungsbedingungen werden sekundäre Helfer von den Brutmännchen vertrieben. Der relative
Gewinn an direkter und indirekter Fitness wechselt also mit den ökologischen Bedingungen.
Naivashasee, Kenia
Dr. Heinz-Ulrich Reyer
Professor für Zoologie
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